Auszug aus dem Buch „Vom
Nürburgring zum Sachsenring“
Höhepunkte und Schattenseiten im deutschen Motorrad und Formel
1-Grand Prix.
Das Buch mit 300 Seiten von Autor Rudolf Steber
kostet inklusive Versand 40,- Euro und ist erhältlich bei:
Michael
Sonnick Telefon 06236 - 8942 ( von 18 bis 20 Uhr) oder per E-Mail
unter: MSonnick@web.de
21 Jahre nach dem „historischen Fahrerstreik“ in Schotten, steht
abermals eine deutsche Rennstrecke aus diesem Anlass im Fokus des
Grand Prix-Geschehens. Und zwar keine Geringere als der Nürburgring.
Wie in Deutschland schon seit Jahrzehnten üblich, veranstalten der
ADAC und der DMV im jährlichen Wechsel den Motorrad-GP. Jeder der
beiden Clubs hat dabei seine „Plausstrecke“, Beim DMV ist es der
Hockenheimring oder besser gesagt seit 1966 das „Motodrom
Hockenheim“ und der ADAC hat den Nürburgring als Arena auserkoren.
Bis 1964 hatte der ADAC für den Grand Prix noch die „Solitude“
vor den Toren Stuttgarts zur Verfügung, die aber aus verschiedenen
Gründen (siehe auch an anderer Stelle dieses Buchs) nicht mehr zur
Verfügung stand.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten,
dass am Nürburgring ein Renntermin in der zweiten April-Hälfte
immer problematisch ist. Das Wetter in der Hocheifel ist gerade in
dieser Jahreszeit unberechenbar. Hinzu kommt, dass man sich beim ADAC
bislang nicht entschließen konnte, Wagen und Motorradrennen nicht
innerhalb einer Veranstaltung zu starten. Gewiss, seit vielen Jahren
war im Rahmen des „Eifelrennens“ diese Vorgehensweise praktiziert
worden und erfreute sich wohl großer Beliebtheit. Sowohl die
Anhänger des Automobil- als auch die des Motorrad-Rennsports kamen
auf ihre Kosten. Aber die Zeit ist bzw. war weitergeschritten und man
konnte sich nicht mehr uneingeschränkt auf die Tradition berufen.
Einwände gegen gemischte Veranstaltungen waren nicht neu, denn schon
seit einigen Jahren wurde diese Praxis in verstärktem Maße
kritisiert. Auch auf der „Solitude“ nahm man ab 1956 im Rahmen
des Motorrad-Grand Prix zusätzlich Wagenrennen mit ins Programm und
1964, beim letzten Motorrad-GP auf diesem erstklassigen Kurs, hatte
man sogar ein erlesenes Formell-Feld am Start. Im Hinterkopf
spekulierten die Funktionäre im ADAC Württemberg insgeheim mit der
Austragung des Großen Preises « von Deutschland für Wagen. Doch
dieser Plan war spätestens : 1966 nur noch Wunschdenken. ! i !
Für
die Motorrad-Piloten stellte der vermehrte Gummiabrieb bei | den
Wagenläufen ein erhöhtes Risiko dar. Hinzu kamen die seit einiger
Zeit installierten Leitplanken, die zwar für die Automobile durchaus
von Nutzen waren, jedoch für die Protagonisten der Zwei und
Dreirad-Zunft ein Gefahrenpunkt der besonderen Art. I Der kundige
Leser wird wissen um welche Gefahr es sich dabei I handelt. Da der
ADAC von seiner Gewohnheit nicht Abstand nahm, präsentierte sich der
Motorrad-GP 1974 abermals als eine ; „gemischte“ Veranstaltung.
Somit war in Verbindung mit dem bereits erwähnten frühen Renntermin
eine gewisse Unsicherheit [ schon im Vorfeld gegeben. Mit dem frühen
April-Termin konnte man Glück haben aber das Ganze konnte auch ab
und an „in die Hose“ gehen (Hagel und Sturm bei den Grand Prix
innerhalb des „Eifelrennens“ 1965,1968 (Waldbrand bei großer
Hitze) und Schnee und Eis beim .ohne WM-Prädikat, ausgetragenen
Rennen 1967. Bislang hatte man sich immer wieder an den eigenen
Haaren aus dem „Sumpf“ gezogen. Was würde nun der Grand Prix
1974 auf der Nordschleife des Nürburgrings bringen? Die
Motorradfahrer kamen direkt vom französischen Grand Prix in
Clermont-Ferrand zum Nürburgring. Hier arbeitete man noch fieberhaft
an der letzten Ausbaustufe des- Gesamt-Pakets für den Umbau des
Nürburgrings („Döttinger Höhe“) hinsichtlich der insbesondere
von den Formell-Piloten , geforderten Sicherheitsmaßnahmen. Am
Donnerstagnachmittag, einen Tag vordem Beginn des offiziellen
Trainings, gab man dann „grünes Licht“. Auch die „Döttinger
Höhe“ präsentierte sich nun „Formel 1- like“…
Kurt Bosch, schon seit Jahren Rennleiter beim „Eifel-Rennen“
unternahm am Donnerstagnachmittag gemeinsam mit Giacomo Agostini eine
Besichtigung der Nordschleife. Man nahm sich Zeit und nach über drei
Stunden Inspektion kam man zu dem Ergebnis, dass noch etliche
Strohballen zur Abdeckung der installierten Leitplanken vonnöten
seien. Es ist kein Geheimnis, das Leitplanken eine erhebliche Gefahr
für die Motorrad-Piloten darstellen und bei einem Unfall fatale
Folgen mit sich bringen. Den Fahrern versprach man seitens der
Rennleitung, dies sogar schriftlich fixiert, an den besonders
gefährdeten Punkten die entsprechende Anzahl von Strohballe'n bis
zum Beginn des Trainings anzubringen. Und wie es so geht, kam wieder
einmal alles zusammen. Am Morgen des ersten Trainingstages (Freitag,
26. April) lag dichter Nebel über dem Eifel'-Kurs und das für 7.00
Uhr angesetzte Training für die 125 und 250ccm-Klasse musste
verschoben werden. Es herrschten Temperaturen von knapp über dem
Gefrierpunkt und an vielen Abschnitten hatte sich der Nebel immer
noch nicht gelichtet, als man die Strecke schließlich freigab.
Während des Nachmittagstrainings stürzte der Engländer Bill
Henderson schwer, nachdem er durch einen Fahrfehler gegen die
Leitplanken geriet. Dies war der Anlass für das Gros der Fahrer beim
Veranstalter hinsichtlich zusätzlicher Strohballen zu intervenieren.
Agostini und Phil Read gaben der Sache entsprechend Nachdruck. Nach
einer abermaligen Besichtigungsrunde konnte Rennleiter Bosch die
zusätzlich geforderten 5.000 Strohballen nicht beschaffen, sondern
lediglich 600 in Aussicht stellen. Aufgrund dessen kam es seitens der
Fahrer zu einem schriftlichen „Boykott-Aufruf dem sich auch alle
Werksteams anschlossen. Der zweifache Weltmeister Dieter Braun,
Sprecher der Solofahrer, äußerte sich wie folgt:
„Jahrelang haben
wir darauf hingewiesen, dass wir keine gemischten Veranstaltungen
wollen. Wir wollen uns nicht länger als Idioten behandeln lassen.
Während die Wagen in den befestigten Boxen stehen und nur zum
Rahmenprogramm gehören, müssen die Motorradfahrer zum Teil wie
Schweine auf der Wiese leben. “
Die Situation gestaltete sich zusehends unversöhnlich. Rennleiter
Bosch gab zu erstmals in seinem Leben ratlos zu sein ob der „Nötigung
und Erpressung“ durch den schriftlichen „Boykott-Aufruf“
seitens der Fahrer.
Jochen Luck, schon viele Jahre eine
Kapazität als Streckensprecher, bemerkte:
„Das
sind Mafia-Methoden, wenn den Fahrwilligen damit gedroht wird, sie
beim nächsten Rennen zusammenzufahren bzw. ihnen gar keine Chance zu
geben, an einem internationalen Rennen teilzunehmen. “
Es
herrschte absolutes Chaos. Während die Fahrer incl. der Werksteams
bereits ihre Drohungen wahr machten und ihre Maschinen zur Abreise
verluden, rief man seitens des Veranstalters immer wieder zum
Training auf und sogar noch am Samstagnachmittag mussten die
eintreffenden Zuschauer den vollen Eintrittspreis bezahlen...
Schlussendlich gingen von den gemeldeten 300 Fahrern
ganze knapp 30 % an den Start. Noch am Samstagabend war nicht sicher,
ob die einzelnen Läufe am Rennsonntag für die Weltmeisterschaft
gewertet würden. Denn die Statuten schreiben vor, dass mindestens
sechs Fahrer pro Klasse an den Start gehen müssen. Aufgrund des
nicht zur Austragung gelangenden Zeittrainings konnten sich die
Teilnehmer ihren Startplatz quasi selbst auswählen, will heißen,
wer zuerst aus dem Fahrerlager kam konnte demzufolge den besten
Startplatz für sich in Anspruch nehmen.
Nachstehend nun
eine kleine Aufstellung der teilnehmenden Fahrer pro Klasse:
50ccm:
48 Nennungen - gestartet 7 Fahrer
125ccm: 50 Nennungen -
gestartet 12 Fahrer
250ccm: 60 Nennungen - gestartet 10 Fahrer
350ccm: 68 Nennungen - gestartet 14 Fahrer
500ccm: 56
Nennungen - gestartet 7 Fahrer
Nur die Gespanne erschienen
nahezu vollzählig am Start. Schwärzei/Kleis lagen am Ende vorn und
fuhren in der fünften und zugleich letzten Runde mit 9.58,1 = 137,4
km/h einen neuen Rundenrekord heraus. Vor dem Start hatte der
mehrfache Weltmeister Klaus . Enders über die Streckenlautsprecher
deutliche Worte an die Zuschauer gerichtet:
„Nach
wie Vorhalte ich die hier getroffenen Sicherheitsvorkehrungen für
unzureichend. Ich fahre hier allein des Publikums wegen, das nicht
gänzlich enttäuscht nach Hause fahren sollte. Aber ich muss sagen,
dass ich in Zukunft auf derart ungenügend abgesicherten Strecken
nicht mehr starten werde.“
Der
Vollständigkeit halber seien hier die Sieger (alle aus Deutschland)
der übrigen Klassen erwähnt. 50ccm: Emmerich (Kreidler); 125ccm:
Reitmaier (Maico), 250ccm: Kassner (Yamaha), 350ccm: . Kassner
(Yamaha); 500ccm: Czihak (Yamaha).
Im Übrigen besagt
Artikel 22 des FIM-Sportgesetzes:
„kein
WM Lauf darf mit einem Wagenlauf kombiniert werden. Wenn doch, dann
dürfen die Wagehfahrer erst nach Beendigung der Motorradrennen das
Training aufnehmen und zum Rennen an den Start gehen."
Abschließend eine Stellungnahme in Form eines Leserbriefes, den
damals der Privatfahrer Heinz
Kittler
der Redaktion der Fachzeitschrift „DAS MOTORRAD“ (Ausgabe
11/1974) zukommen ließ, der eigentlich am besten das Chaos jener
Tage schildert:
„am 26., 27. und 28.April war ich Teilnehmer des WM-Laufes am
Nürburgring. Wie bekannt, wurde die Veranstaltung von unseren
Elite-Fahrern bestreikt. Trotz mehrerer Bedenken seitens Dieter Braun
und Agostini nahm ich als erster das Training um 11.15 Uhr auf, sehr
zur Freude des Veranstalters, der Streckenposten und der Zuschauer.
Alle spendeten reichlich Beifall. Schon aus diesem Grund war mein
Fahren gerechtfertigt.
Als dann noch weitere 10-15 Fahrer das
Training aufnahmen, war der Bann gebrochen und die Veranstaltung
notdürftig gerettet. Immer mehr Fahrer schlossen sich meiner Meinung
an, dass man schon wegen der Zuschauer fahren solle.
Ohne ein
Verlangen aus unserem Kreis versprach Herr Bosch als Rennleiter (es
war Samstag gegen Mittag), dass jeder, der sich am Rennen beteilige,
zusätzlich zu seinem Startgeld noch DM 500,- pro Klasse bekommen
solle.
Darüber hinaus ließ Herr Bosch durch den
Streckensprecher Jochen Luck, die Zuschauer an der Strecke noch
anheizen, indem er gegen 15 Uhr verkündete:
»Achtung-Achtung-eine
erfreuliche Mitteilung! Alle Fahrer; die am Rennen teilnehmen,
bekommen das große Geld der großen Fahrer, es wird gleichmäßig an
alle verteilt.«
Daraufhin brausender Beifall Tausender von
Zuschauern. Wir »Kleinen« fingen gleich das Rechnen an. Für mich
wären das DM 1.425,-gewesen. Aber denkste, mit DM 600,- ließ man
mich ziehen - für zwei Klassen!
Nach einer Aussprache mit
Herrn Bosch ließ dieser verkünden, es handele sich um einen Fehler,
wir bekämen unser Geld schon... Dann gab es nach einem lauten
Wortwechsel nochmals DM 200,-; es fehlten mir also immerhin noch DM
625,-, von besagtem»großen Geld« ganz zu schweigen. Inzwischen
hatten sich noch mehr Fahrer meinem Protest angeschlossen - aber
umsonst. Der Veranstalter ließ uns wissen, wir sollten doch mit dem
zufrieden sein, normalerweise hätten wir ja nicht einmal das
bekommen.
Auf die Siegesprämie angesprochen, sagte uns Herr
Bosch, es wären doch dafür viel zu wenig Starter gewesen! Nun
möchte ich Herrn Bosch fragen, wer denn nun gesiegt hat - doch wohl
die »großen Fahrer«, deren schadenfrohe Gesichter beim nächsten
Rennen ich schon vor mir sehe. Ich habe mich offen vor den
Veranstalter gestellt und bei den Fahrern um Verständnis geworben.
Und das Ergebnis? Es ist schade, dass sich die »kleinen« Fahrer
nicht so einig sein können wie die sogenannten »Großen«, sonst
wären nämlich beim, nächsten Eifelrennen nur sechs oder acht
Fahrer am Start.
An die Adresse von Herrn Bosch möchte ich
noch einige Worte richten. Mit.Respekt und Hochachtung bewundere ich
ihn seit Jahren. Er hat wirklich harte Arbeit geleistet. Aber in
diesem Fall hat er nicht zu seinem Wort gestanden. Ich war seit
zwanzig Jahren in der glücklichen Lage Motorradsport ohne große
Unterstützung betreiben zu können und liebe unseren Sport und fahre
notfalls auch ohne Geld. Aber hier geht es um ein Versprechen seitens
des Veranstalters an die Fahrer und die Stimmungsmache bei den
Zuschauern, um deren Geld es letztlich geht. Alle sollen die Wahrheit
wissen, denn mit Lügen und Intrigen bringen wir unseren Sport nicht
weiter...“
Eine
eigenartige Sachlage bleibt
festzuhalten: beim „Fahrerstreik“ von Schotten 1953 wurde die
Gefährlichkeit der Rennstrecke angemahnt und ebenso wie am
Nürburgring 1974 blieben die „großen“ Fahrer dem Start fern.
Im Gegensatz zu Schotten jedoch, wo man die Läufe der 350- und
500ccm-Klasse seitens der Jury nicht in die WM-Wertung einbezog
(trotz einer stattlichen Anzahl verbliebener guter Fahrer) tat man
dies am Nürburgring, obwohl hier nur „Mini-Felder am Rennen
teilnahmen…

Text: Rudolf Steber