Im Bücherregal:
Hercules – eine wechselvolle Geschichte

 

Hercules Motorräder die Geschichte machten von Leo KellerHercules, Kreidler, Zündapp und Maico – das waren in den 70er- und 80er-Jahren die angesagtesten deutschen Zweiradmarken bei Jugendlichen. Die Namensrechte von Kreidler und Zündapp sind längst in chinesischer Hand, Motocross-Maschinen von Maico werden nur noch in Eigenregie von einem Händler gebaut, und der Name Hercules findet sich heute nur noch auf Fahrrädern und Pedelecs. Letztere spielen im Buch von Leo Keller über den traditionsreichen Nürnberger Zweiradhersteller aber keine Rolle mehr. Sein bildreicher Rückblick endet mit der Schließung von Entwicklung und Fertigung im Jahr 2005.

Der „Hercules – Motorräder, die Geschichte machten“ mag im Untertitel zunächst etwas übertrieben klingen, trifft aber zumindest auf drei Modelle zu. Mit der K 125 Bw baute das Unternehmen von 1970 bis 1986 das Standard-Krad der Bundeswehr, mit der W 2000 brachte Hercules das weltweit erste Serienmotorrad mit Wankelmotor auf den Markt, und die 1976 erschienene Ultra setzte seinerzeit Maßstäbe in der damaligen Kleinkraftrad-Klasse.

Begonnen hatte auch bei Hercules alles mit der Fahrradproduktion. Firmengründer Carl Marschütz kaufte sich bereits als 19-Jähriger sein erstes Fahrrad, das damals einzige im Ort, und begann schon als Lehrling 1884 selbst welche zu bauen. Kunden, die die Robustheit der Velozipede von Marschütz zu schätzen wussten, sollen sie nach dem Halbgott als „Hercules“ bezeichnet haben. So entstand laut Leo Keller der Markenname. Welche Bedeutung das Fahrrad damals hatte, zeigt der Bau des „Hercules-Veldrom“ kurz vor der Jahrhundertwende – die Übungsstrecke war jahrelang Nürnbergs größter Saalbau.

Nach einem kurzen Intermezzo mit einer Elektro-Chaise begann Carl Marschütz 1903 mit dem noch auf den Fahrradrahmen fußenden Motorradbau. 1908 war damit zunächst aber erst einmal wieder Schluss. Stattdessen baute Hercules dann fast 20 Jahre lang Lastwagen, ehe 1926 die Motorradproduktion wieder aufgenommen wurde. Auch danach blieb der Hersteller stets ein Konfektionär, der die Motoren zukaufte. Gründer Marschütz verließ als Jude die Firma in der Nazi-Zeit und emigrierte 1941 in die USA. Als er 16 Jahre später hochbetagt in Los Angeles starb, wurde sein Leichnam wunschgemäß in Nürnberg begraben.

Für die Firma ging es nach Milchkannen 1948 wieder mit einem 98-Kubik-Leichtmotorrad weiter. Zehn Jahre später übernahmen Motorenlieferant Fichtel & Sachs und eine Schweizer Holding das Unternehmen im Ende der 1950er-Jahre dahinsiechenden Motorradmarkt. Wenig später ging Hercules dann im kaum durchschaubaren Konglomerat „Zweirad Union“ unter Sachs-Führung auf. Die Marke behauptete sich aber in der Folgezeit erfolgreich mit 50-Kubik-Mopeds und Mofas. Ohnehin dürfen die 70er- und frühen 80er-Jahre als die Blütezeit nach dem zweiten Weltkrieg gelten. Ab 1970 bis Mitte der 90er-Jahre belieferte Hercules die Bundeswehr mit der K 125/180 „Military“, 1974 erschien mit der W 2000 das erste Serien-Wankelmotorrad der Welt, und mit der 50 Ultra setzte man sich 1976 an die Spitze des damaligen Kleinkraftradsegments.

Mit dem Einstieg von Mannesmann bei F & S im Jahr 1987 wurde dann das vorletzte Kapitel eingeläutet. Mit neuen Besitzern und großvolumigeren Motoren von Suzuki wollte es die mittlerweile in „Sachs Bikes umbenannte Firma noch einmal wissen und bewies auch in der 125er-Klasse mit der XTC und vor allem der (ebenfalls glücklosen) Madass designerisches Geschick. Doch der Untergang war nicht mehr aufzuhalten. 2006 wurde Insolvenz angemeldet. SFM Bikes als Vertrieb von Pedelecs und China-E-Scootern unter den Markennamen Saxonette und Saxx sowie Hercules-Fahrräder sind heute die letzten traurigen Überreste des einst großen und bedeutenden Zweiradherstellers aus Nürnberg.

Autor Leo Keller widmet rund die Hälfte des Buches den eigentlichen Hercules-Werken und jeweils ein Viertel den Kapiteln Zweirad-Union und Motorsport. Zum Schluss gibt es noch ein paar Seiten zu den Clubs und Interessengemeinschaften, die das Erbe von Hercules und Sachs bewahren. „Hercules – Motorräder, die Geschichte machten“ verliert sich nicht in technischen Details, dazu ist die Flut der Modelle aus über 100 Jahren Firmenhistorie auch einfach viel zu groß. Eben sie ist es aber auch, die neben der interessanten und wechselvollen Unternehmensgeschichte das Werk auszeichnen: Stolze rund 370 Fotos und Abbildungen finden sich in dem Buch.



„Hercules – Motorräder, die Geschichte machten“ von Leo Keller ist im Motorbuch-Verlag erschienen.
Das Buch hat 224 Seiten mit ca. 370 Abbildungen und kostet 29,90 Euro. (aum/jri)