Almunia hat "entschieden", aber was?
Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn jemand nach dem Brief des
Vizepräsidenten der EU-Kommission Joaquín Almunia und den nachfolgenden
Reaktionen darauf jetzt die Hände hebt und sagt, dass er den Überblick
verloren hat. Es ist eine trockene, komplizierte Materie, nicht zu
vergleichem mit dem eher nassen, unkomplizierten Verlauf einer normalen
Veranstaltung auf dem Nürburgring.
Teilen wir die Sache doch mal in kleinere Happen auf, vielleicht
verstehen wir dann besser, was da in diesem Brief geschrieben wurde.
Nürburgringrunden sind schließlich auch nicht kurz, beginnen wir also
auf der Startgeraden.
Was für ein Verfahren läuft da in Brüssel eigentlich?
Ein Beihilfeverfahren. Es geht dabei um die Frage, ob die Nürburgring
GmbH unrechtmäßige Beihilfen vom Land bekommen hat. Wie Almunia sehr
deutlich macht, wurde das Verfahren eröffnet, und die Prüfung ist noch
im Gange. Von jemandem, der sich wirklich damit auskennt, haben wir es
hier also noch einmal schriftlich: "Die Prüfung ist noch im Gange".
Schreibt er etwas von einer unmittelbar bevorstehenden Entscheidung?
Nein.
Muss der Ring in Kürze geschlossen werden, wenn er nicht verkauft wird?
Nein. Solange es keine endgültige Entscheidung gibt, gibt es keine
drohende Schließung. Und selbst nach einer Entscheidung droht nur dann
eine Schließung, wenn sich Deutschland als Partner der EU strikt
weigert, auf die Forderung der EU einzugehen, eine mögliche
Wettbewerbsverzerrung geradezurücken.
Schreibt Almunia etwas
davon, dass jetzt Hunderte von Millionen zurückgezahlt werden müssen,
wie es der Staatssekretär Häfner noch in der Podiumsdiskussion verkündet
hat?
Nein. Im letzten Absatz der ersten Seite spricht er nur von
"Beihilfen, die möglicherweise vom Veräußerer zurückgefordert werden
müssen". Der Veräußerer wäre die Nürburgring GmbH.
Also: alles offen, keine Vorentscheidung, keine Entscheidung.
Damit sind wir nun in der Hatzenbach angelangt, ab jetzt wird es interessant.
Welcher Bezug besteht denn nun zwischen dem Verkauf und dem EU-Beihilfeverfahren?
Kein direkter, das macht Almunia im zweiten Absatz der zweiten Seite klar.
"Deutschland und der Sachwalter haben den geplanten Verkauf der
Vermögenswerte der Nürburgringgesellschaften seit Oktober 2012 mit
meinen Dienststellen erörtert. Der Sachwalter hat erste Schritte
unternommen, um das Privatisierungsverfahren am 15. Mai 2013
einzuleiten."
Knochentrocken, oder? Ja, und zwar eine
knochentrockene, schallende Ohrfeige für das Land Rheinland-Pfalz und
die Insolvenzverwalter. Man könnte auch sagen, ein Revange-Foul der EU
für vorangegangene Äußerungen der Genannten. Denn in diesem Satz steckt
Einiges, das man sich mal mit Genuss auf der Zunge zergehen lassen
sollte.
"Der geplante Verkauf" wurde erörtert. Moment mal, wurde
nicht immer behauptet, die EU fordere den Verkauf? Nein, sie hat nichts
gefordert, zu keinem Zeitpunkt. Almunia sagt hier deutlich "Leute, IHR
WOLLTET DEN VERKAUF, nicht wir".
"Der Sachwalter hat erste Schritte
unternommen...": Haben sich Insolvenzverwalter und Sachwalter nicht
monatelang überschlagen mit Aussagen wie "Verkauf wird gefordert", "wir
müssen der EU zuvorkommen", "ohne sofortigen Verkaufsstart wird der Ring
in 4 Monaten geschlossen" (Aussagen paraphrasiert)? Nein, der
Sachwalter hat erste Schritte unternommen, d.h. es gab keine Schritte
der EU, die davor waren. Und es war ein geplanter Verkauf, kein
geforderter. Das ist hiermit nun ein für alle Mal und für die
Diplomatensprache sehr deutlich formuliert worden.
Und damit kommen wir nun zur Grundlage der Antwort des Herrn Almunia. Diese Grundlage ist ganz einfach:
- Es existiert da ein Unternehmen, die Nürburgring GmbH
- Es sind Gelder geflossen vom Land, die möglicherweise unerlaubte Beihilfen waren
- die EU untersucht das jetzt
- Während dieser Untersuchung trifft das Land RLP die Entscheidung, die
N-GmbH in die Insolvenz zu schicken. Das ändert aber nichts am
Beilhilfeverfahren.
- Das Land, bzw die völlig unabhängig handelnden
Sachwalter und Insolvenzverwalter beschließen nun, das Eigentum der
Gesellschaft zu verkaufen, und zwar nach Regeln eines Bieteverfahrens,
das EU-konform ist.
So langsam nähern wir uns der Breidscheider Brücke in unserer Runde.
Wichtig ist hier, dass die Initiative zum Verkauf eben nicht von der EU
kam. Es gab und gibt keine Forderung. Die EU kümmert sich um ihr
Beihilfeverfahren, und das ist es auch schon. Das Verfahren läuft auch
weiter, egal ob verkauft wird oder nicht. Interessant ist in diesem
Zusammenhang der letzte Absatz der ersten Seite:
"Gleichzeitig
möchte sich der Sachwalter der insolventen Gesellschaften rechtlich
absichern, dass die Veräußerung der Vermögenswerte nicht zu einer
Übertragung staatlicher Beihilfen, die möglicherweise vom Veräußerer
zurückgefordert werden müssen, auf den oder die Erwerber der
Vermögenswerte führt."
Das kann ich mir gut vorstellen, dass
sich der Sachwalter da absichern möchte, denn dass ist ja sein
Hauptargument für den Verkauf: irgend jemand kauft die Anlagen und kann
dann frei handeln. Die Probleme mit der EU bleiben in der N-GmbH, die
man dann einfach entsorgt. Und entweder macht es sich die EU einfach und
stellt das Verfahren nach einem Verkauf ein, oder aber das Verfahren
läuft ins Leere, weil es dann keine N-GmbH mehr geben wird. Praktisch,
oder?
Und man stelle sich vor, es käme so, dann gäbe es
wahrscheinlich nie eine wirkliche Entscheidung der EU, ob die Beihilfen
unrechtmäßig waren oder nicht, auch nicht, in welcher Höhe. Wirklich
praktisch, denn so kann der Fall erst gar nicht eintreten, dass die EU
entscheidet, dass alle Gelder rechtmäßig waren, oder dass sie einfach
nur die Rückabwicklung des Eigentumsübertrags in die N-GmbH fordern oder
sonst etwas...
Denn das wäre unbequem, denn dann hätte es nie einen wirklichen Grund gegeben, den Ring zu verkaufen.
Zählt man nun 1 (alle Aktivitäten gingen vom Land aus) und 1 (es wird
darauf hingearbeitet, dass es nie eine rechtskräftige Entscheidung geben
wird) zusammen, dann kommt meiner Meinung nach 3 (Lewentz, Hering,
Kühl) heraus. Denn ohne rechtskräftige Entscheidung der EU kann man auch
nie zurückverfolgen, wen man für diese Unrechtmäßigkeit verantwortlich
machen könnte.
Oder sollte es wirklich so sein, dass da drei Herren
der Regierung das Ganze nur inszeniert haben, um ihre eigene Stellung zu
retten? Die Frage mag sich jeder selbst beantworten.
Aber
soweit kommt es vielleicht gar nicht. Denn der Almunia-Brief hat da
einen kleinen Haken. Er führt zwar auf, dass der Sachwalter gerne
rechtlich abgesichert sein möchte. Allein, eine Antwort darauf gib
Almunia in dem ganzen Brief nicht. An keiner Stelle steht, weder
verklausuliert, noch deutlich: "Wenn ein neuer Eigentümer den Ring
erwirbt, ist er damit geschützt vor Rückforderungsansprüchen der EU". So
ein Pech aber auch für den Sachwalter. Ob Almunia das einfach vergessen
haben sollte, nachdem er es auf der ersten Seite so deutlich
angesprochen hat?
Im Absatz zum Verkauf der Rennstrecke ohne
Bietverfahren kommt er nur zu dem Schluß, dass er eine Übertragung der
alten Beihilfen auf den Käufer je nach Ablauf des Verkaufs nicht
ausschließen kann.
Wenn man die Zeitungsberichte liest, kann man nur das Gefühl haben, gerade im Karussell zu sein...
Ja, was in aller Welt hat denn Almunia nun überhaupt "entschieden" mit seinem Brief, wie es in allen Zeitungen steht?
Nichts. Er hat nur seine Meinung zu bestimmten Themen geäußert, sachlich kompetent. Nicht mehr und nicht weniger.
Er äußert sich zu Details eines EU-konformen Bieteverfahrens. Ist ein
bißchen wie bei ebay. Nehmen wir an, ich biete bei ebay eine
Carrera-Bahn mit Autos, Trafo und Zubehör an. Die ersten Interessenten
stellen sich ein, erste Gebote werden gemacht. Nun fällt mir auf, dass
ich die Autos lieber jemand anderem verkaufen würde, und nehme sie aus
dem Angebot heraus.
Was würde jeder denken? Geht nicht. Da sind doch
schon Angebote, die Leute haben sich darauf eingestellt, usw. Ähnlich
äußert sich auch Almunia hier (stark vereinfacht). Man könnte seine
Antwort auch so umformulieren:
- Wenn Ihr die Anlagen schon
unbedingt verkaufen wollt, ohne dass die EU Euch dazu zwingt, dann muss
das EU-konform erfolgen, sonst gibt es Ärger.
- Ihr habt jetzt die Anlagen bereits angeboten, daher könnt Ihr jetzt nichts so Grundsätzliches mehr ändern.
- Wenn Ihr einen Teil der Anlagen EU-konform verkaufen wollt, müßt Ihr es mit allen Teilen tun.
In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf die Kommentare von Wilhelm
Hahne, der sich auch zum Herauslösen der Strecke äußert in seinem
Artikel zur Reaktion der Grünen zum Brief von Almunia. Ich teile da
seine Ansichten. Die Rennstrecken sind schon abgetrennt.
Jetzt sind wir schon im Pflanzgarten, dauert nicht mehr lange.
Die eigentliche Antwort auf die Frage, ob die Rennstrecken abgetrennt
werden können, wird damit auf eine rein verfahrenstechnische Erklärung
reduziert. "Bei der Veräußerung im Wege eines Bietverfahrens..." ist
hier die Einleitung zu der Begründung, warum nichts abgetrennt werden
darf. (Vielleicht ginge es ja, wenn man die Norschleife in FSZ N
umbenennen würde?).
Oder, im Klartext gesagt: Solange ein
Bietverfahren angewendet wird, gibt es nur diesen einen Weg. Es steht
aber nicht da, dass ein Bietverfahren angewendet werden muss. Es steht
nicht da, dass die EU ein Bietverfahren oder überhaupt einen Verkauf
gefordert hat.
Es sollte also geprüft werden, welche Alternativen es da gibt.
Jetzt kommen wir schon zum Schwalbenschwanz, die Runde nähert sich dem Ende.
Die Landesregierung brüstet sich ja schon länger damit, den
"öffentlichen Zugang" zum Ring durch ein Gesetz absichern zu wollen.
Alles sei mit der EU abgestimmt, alles sei sicher. Wie bereits in einem
anderen Kommentar erwähnt, will das Land einem neuen
Eigentümer/Betreiber 3 Blöcke aufs Auge drücken:
- Breitensport
- Touristenfahrten
- Industrie- und Testfahrten
Der vierte, eigentlich wichtigste Block, fehlt völlig: keine Schädigung der Region
Den Sachwalter interessieren aber unsere Sorgen nicht die Bohne. Ihm
geht es nur darum, über ein öffentliches Zugangsrecht den Wert der
Immobilien zu steigern: "Maximierung des Gesamterlöses der
Privatisierung".
Dazu fällt mir folgendes Beispiel ein: Ich kaufe
mir ein Haus, darf es aber nur 6 Monate im Jahr bewohnen. Ist doch klar,
dass das den Wert steigert gegenüber einem Haus, bei dem eine solche
Verpflichtung nicht bestehen würde, oder?
Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man glatt darüber lachen.
Damit aber nicht genug, Almunia schreibt äußerst vorsichtig zurück:
"...dürfte grundsätzlich nicht als staatliche Beihilfe anzusehen sein.
Sofern... könnten sie..."
Alles abgesprochen mit der EU? Sieht mir
nicht so aus. Könnte es sein, dass es weise wäre, erst einmal das
Ergebnis des EU-Beihilfeverfahrens abzuwarten, bevor man irgendwas
verkauft? Könnte es sein, dass es nur minimaler Intelligenz bedarf, um
zu sehen, dass man mit dem Verkauf ohne jeglichen Fallschirm in ein
riesiges schwarzes Loch springt?
Das Gesetz an sich steht also auf
extrem wackligen Beinen. Doch damit nicht genug: Almunia schließt den
Block der Industrie- und Testfahrten gleich mal ganz aus. Und er
schließt ein "ungerechtfertigt niedriges Zugangsentgelt" aus.
Ja was bleibt denn dann noch übrig von dem famosen Gesetz?
Ein Block fehlte schon vorab, ein zweiter ist schon gekippt, bevor es
das Gesetz überhaupt gibt, für den Rest läßt sich der Zugang zu
angemessenen Konditionen nicht durchsetzen per Gesetz.
Übrigens, zu
den erwähnten kommerziellen Zwecken zählen nicht nur Industriefahrten.
Alle Trackdays, Scuderia Hanseat, usw sind kommerzielle Veranstaltungen.
Und wie man einen Eigentümer dazu zwingen möchte, das Risiko von
Touristenfahrten auf sich zu nehmen, möchte ich auch erst noch sehen.
Da wir gerade auf die Döttinger Höhe einbiegen: Hallo Meuspath, Koffer packen!
Ihr hängt ab jetzt auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen des
zukünftigen Eigentümers ab. Und wir sprechen hier nicht vom Scheich oder
Oligarchen. Ich spreche von JEDEM Eigentümer, der ganz einfach
entscheidet, dass er in der Zeit, in der bisher der Industriepool
gefahren ist, lieber etwas anderes macht. Es wird kein Gesetz geben,
dass Euch schützt. Einfach mal sacken lassen, was das für die Firmen
bedeutet.
Aah, zum Schluss die Tiergartensenke. Man kommt mit
vollem Dampf an und denkt, man ist schon fast an der Ziellinie, da kommt
einem diese Passage vor die Räder.
Gleiches denken sich
vielleicht auch Landesregierung und Insolvenzverwalter mit Blick auf die
Beschäftigungsgarantie. Auch hier sind die voreiligen Versprechungen
offensichtlich nicht so einfach zu halten.
Die letzte Kurve kommt.
Sicher wäre die Situation einfacher, wenn Almunia zurückgeschrieben hätte: Klar, kein Problem, trennt ab, was Ihr wollt.
Aber jeder antwortet nur auf das, was er gefragt wird. Und die Fragen
richteten sich nach dem Verkaufsprozess. Sie stellten nicht den Verkauf
an sich in Frage.
Es bleibt das, was wir seit Monaten immer wieder feststellen können:
Landesregierung und Insolvenzverwalter/Sachwalter überspringen in allen
Diskussionen den Fakt, dass es einzig und allein ihre geplante
Entscheidung war, den Ring zu verkaufen. Sie stürzen sich sofort in
Verfahrensdetails der Verkaufsabwicklung, wo ihnen kaum noch einer
widersprechen kann. Und dann möchten sie gerne, dass alles in Ruhe
abläuft, keiner soll sie stören.
Ich sage es mit einer gewissen Bewunderung für die antrainierten rhetorischen Fähigkeiten:
Jedes Wort, was von diesen Herren gesagt wird, dient nur dem einen
Zweck, den Ring zu verkaufen. Sie sind perfekt vorbereitet darauf,
aufgebrachte Betriebsräte ruhig zu stellen, Gläubigerversammlungen und
-ausschüsse zu beeinflussen (man denke an die 10-stündige
Ausschußsitzung, in der mehrere Mitglieder zum Schluss gegen ihre
Überzeugung gestimmt haben), den Verkauf mit allen Mitteln
voranzutreiben. Das ist ihr Job, den sie nächstes Jahr vielleicht am
Flughafen Hahn wiederholen. Oder bei einem Opel-Werk. Sie gehen von
einer Insolvenz zur nächsten und versuchen, das Beste aus der
Insolvenzmasse herauszuholen, nicht zuletzt zum eigenen Vorteil.
Sie
setzen eine Agentur ein, die genau darauf spezialisiert ist, schönes
Wetter rund um die Insolvenz zu verbreiten. Es wird sich ja alles zum
Guten wenden. Und der Verkaufsprospekt ist auch überhaupt nicht
überzogen. Und wenn bei einem vorhergesagten Umsatzzuwachs von rund 52
Millionen in 2013 auf 60 Millionen in 2016 gleichzeitig der Gewinn um
ca. 4 Millionen steigen soll, dann passt das zu den übrigen Äußerungen.
So einen Goldesel möchte doch jeder kaufen, oder?
Wer da ein
Herz für den Nürburgring, für den Motorsport oder für die Region
erwartet, sollte sich das vielleicht noch einmal vor Augen führen.
Meine Runde neigt sich dem Ende, wir sind kurz vor dem Zielstrich. Das gilt aber nur für diesen Kommentar.
Danach gibt es noch eine Runde. Und noch eine. Und es wird Runden
geben, bis der Ring endgültig verkauft ist. Aber bis dahin vergeht noch
viel Zeit. Zeit, die mancher Zeitungsredakteur nutzen sollte, um sich
kursierende Schriftstücke genau durchzulesen.
Von: Dieter Weidenbrück
"Ja zum Nürburgring"