100 Jahre TT, da war ja mächtig was zu Lesen in den letzten Wochen. Überschwänglich wird berichtet, denn die TT zu kritisieren traut sich kein Redakteur. Erst recht nicht die deutschen Edelfans, kein Quartier ist schlecht, das Wetter hat man hinzunehmen, Engländer sind gut, freundlich und hilfsbereit, nichts darf die Freude an diesem Ereignis trüben.
Ich war 9 x auf der TT: Sicher gehört ein Besuch auf der Insel immer noch zu den schönsten Erlebnissen, die man als Motorradfahrer erleben darf. Aber es sollten in nachfolgendem Beitrag auch einmal einige Schattenseiten dieser Veranstaltung aufgezeigt werden.
Fangen wir mal mit was Schönem an: Unvergessen bleibt mir meine erste Ankunft. Mangels Ticket heißt es zunächst mal 11 Stunden in Heysham im Regen stehen, glücklicherweise bestens unterstützt durch einen ebenfalls wartenden Schweizer Bus, dessen Insassen mich aus einem schier unerschöpflichem Biervorrat versorgen. Bier von Schweizern ist natürlich nicht umsonst, half mir aber über aufkommende Depressionen hinwegzukommen, denn keiner der Offiziellen war bereit oder in der Lage, einigermaßen verbindliche Aussagen zur beabsichtigten Reise zu machen. Irgendwann nachts torkele ich die Guzzi irgendwie aufs Schiff.
Ich komme in der Frühe in Douglas an, bin müde, verkatert: Hätte ich in den Tank meiner Guzzi gehaucht, sie wäre bestimmt noch etliche Kilometer mit dem Restalkohohl gefahren. Ich fahre suchend durch Douglas, da ist auf einmal ein Kälberstrick über die Straße gespannt, ein Polizist weist mir freundlich einen Parkplatz zu. Da knallt auch schon, wie eine Kanonenkugel, ein Motorrad den Bray Hill hinunter: Ich hatte bis dahin schon viele Rennen in Europa gesehen, aber so einen Verrückten mit über 200 km/h durch eine Ortschaft, daß gibt es nur hier, im Nu war ich hellwach.
Später fand ich Quartier auf einem Camping Platz in Hillbary. Dreimal baute ich mein Zelt auf, jedes Mal erschien der Camping Fürst und wies mir eine noch schlechtere Stelle zu, mit dem Hinweis, der Platz sei für Gäste aus England reserviert. So sah ich ihn zum ersten Mal, den freundlichen Manxman.
Wollte man duschen, gab es eine Bretterbude. Nach Einwurf einer Pfund Münze in einen Automaten tröpfelt für 2 Minuten kaltes Wasser aus einem umgebogenem Rohr aufs Haupt.
Als besonderen Service für den von Kontinent angereisten Fremden schützt eine Tür vor ungewollten Blicken. Diese läßt sich aber nicht verschließen, was manchen ungeduldigen Nachfolger veranlaßt, mal kurz hereinzuschauen. Aber Briten haben sowieso ein gespanntes Verhältnis zu Türen und Scharnieren, dazu später noch mehr.
Zweimal habe ich gezeltet: Das andere Mal direkt unter dem Fahrerlager, auf einem Golfplatz. Während wir aßen, tranken und uns vor dem Zelt erholten, spielten gut angezogene Briten unbeirrt Golf um uns und die Motorräder herum. Der Platz lag schön zentral in Douglas, aber sanitäre Einrichtungen gab es dort überhaupt nicht. Wir kletterten zum Waschen über den Zaun in das Fahrerlager, übrigens direkt da, wo H-O. Butenuth seinen Wohnwagen stehen hatte. Da gab es immer was zu erzählen.
Einmal wollte meine Frau sich auch mal ein Bild von der Insel machen, wollte herausfinden, was ihren Mann eigentlich da immer hintreibt. Ich buchte blind eine Ferienwohnung in Peel, wo wir von einer apathisch wirkenden Frau, wir wollen Sie im folgendem Susan nennen, begrüßt wurden. Susan saß eigentlich den ganzen Tag am Meer und beobachtete versonnen Ihre 2 Bälger beim Spielen. Ihr Wohnhaus schien Sie sträflich zu vernachlässigen. Meine Frau, als Schwäbin in hohem Maß zu absoluter Sauberkeit erzogen, schickte mich erst mal in
den Supermarkt, Sacrotan holen. Ausgestattet mit diesen bewährten Reinigungsmitteln aus deutscher Produktion war die Wohnung schnell gesäubert. Kapitulieren mußte die schwäbische Präzision allerdings angesichts der Kissen und Sofas, die dort lebenden Milbenkulturen wurden zwar während unseres Aufenthaltes kräftig in Aufruhr gebracht, konnten aber letztlich nicht ausgerottet werden.
Aus angeborener Neugier versuchte meine Frau einmal eine Nebentür zu öffnen, die, mangels Scharnieren, krachend zu Boden fiel. In dem sich öffnenden Raum erblickten wir einen mannshohen Turm mit Wäsche in äußerst unappetichlichem Zustand. Susan schien, nicht nur während der TT, sondern auch schon Monate vorher, keine Zeit gefunden zu haben, die Unterwäsche ihrer Familie zu säubern.
Nach wenigen Tagen beschied uns der Hausherr ohne besonderen Anlaß, daß wir fortan unsere Behausung nur noch durch eine rückwärtige Feuertreppe betreten dürfen. Auch hier konnte ich die von deutschen Fans viel gelobte Gastfreundlichkeit des Manxmans und Briten nicht in vollem Umfang erkennen.
Eines abends, wir kamen vom Essen, brachte ich die dortige Gartentür nicht mehr auf. Susan schickte mich in einen nahen Pub, wo ich Ihren Angetrauten auftrieb. Ich glaubte etwas von „Fucking Germans“ gehört zu haben, hielt aber den Mund, denn der Mann war völlig betrunken. Aber auch dieses englische Maschinenbau Genie bekam das Tor nicht auf und zerschlug die Konstruktion schließlich mit einem gezieltem Beilhieb. Seit diesem Tag fahre ich jedes Mal, wenn ich wieder die TT besuche dort hin und kontrolliere das Gartentor: es wurde bis dato nicht repariert.
Zum Schluß suchte ich Susan auf, um zu bezahlen, Sie wirkte völlig abwesend. Ich gab Ihr das Geld, Sie wußte nicht wofür, ich glaube, Sie hatte uns schon vergessen.
Meine Frau fuhr nie wieder mit zur TT. Ich schon und schlief in verschiedensten Hotels. Das sind in der Regel verwinkelte und verschachtelte Altbauten. Vermietet werden grundsätzlich Einzelzimmer, die jedoch für eine Person eigentlich zu klein sind. Kommt mal ein Freund mit, vermieten sie diese Einzelzimmer an 2 Personen. Dann steigst du die ganze Zeit über Tankrucksäcke und Gepäckrollen und wachst nachts erschreckt Rücken an Rücken neben Deinem Kumpel auf. Ich weiß, bei uns zu Hause wollen die Wowereits und Westerwelles uns einreden, daß sei normal, aber ich kann nicht anders, es ist mir unangenehm.
Um die Toiletten zu finden braucht es großes Geschick. Neben einem ausgeprägtem Orientierungssinn ist auch eine gute Nase empfehlenswert, um sich in den verwinkelten Gemäuern zurechtzufinden. Die Türen der Toiletten sind selten verschließbar, meist sind die Scharniere herausgerissen. Zwischen Geschlechtern wird nicht unterschieden, weshalb man nicht erschrecken sollte, wenn während der Verrichtung auch mal eine Frau hereinschaut.
Da die Engländer aber auch jeden Winkel mit Teppich auslegen, somit auch Flächen rund um die Kloschüssel oder der Pißrinne, hat sich dort ein übel riechender Brei aus Kot- und Urinresten sowie Kleenex Tüchern festgesetzt. Die Toiletten, Duschen und Flure sollten deshalb mit festem Schuhwerk betreten werden, denn gereinigt wird während der TT nicht und außerhalb der TT fehlt sowieso das Personal und Interesse.
Was hinten raus kommt, muß vorne rein, wir kommen zum Essen. Man kann auf der TT auch wirklich gut essen, zum Beispiel gibt es in Laxey einen Italiener in hervorragender Qualität. Auch kann man in Peel am Hafen gut speisen, wenn das Restaurant nicht so schrecklich nach Essen stinken würde. Da Personal knapp ist, werden massenweise ungebildetete Schotten als Kellner eingeflogen, die auf Ihrem langen Weg von der Küche zum Kunden die Hälfte der Speisen verlieren. Das Geschmier setzt sich in den unvermeidlichen Teppichen fest und fängt spätestens nach der Trainingswoche an zu faulen.
Einmal bot unser Wirt abends ein „Grand Menü“ zur Feier des nahenden Mad Sundays an. Als erfahrener TT Kenner lehnte ich das Angebot dankend ab. Die Reste verkaufte mein Wirt dann nachher auf der Straße unter einer Plastikplane. Ein Freund von mir wollte nicht hören, kaufte ein Rindfleisch, biß einmal hinein und feuerte das Stück über die Promenade auf den Strand. Ich glaube, nicht einmal die Möwen haben es noch angerührt.
Werden mal Teile gebraucht, etwa ein Unterbrecher für eine Guzzi, sollte man sich keineswegs von dem imponierendem Eindruck des Händlers in Castletown irritieren lassen: Er wird den Unterbrecher nicht haben, er wird versprechen, daß er morgen einen geliefert bekommt, er wird einen bis an das Ende der TT vertrösten und am Tag der Abreise mitteilen, daß Teil sei da. Rufe dann nicht an und sage, daß Du nun nicht mehr vorbeikommen kannst, sondern verlasse die Insel wie geplant. Du ersparst Dir dabei eine Lektion zum Thema, was Engländer wirklich über Deutsche denken.
Die sind sowieso nicht so beliebt auf der Insel, wie sie sich immer einreden, die TT ist und bleibt eine rein britische Veranstaltung, bei denen Gäste vom Kontinent, noch dazu aus Deutschland, allenfalls mit Skepsis und Zurückhaltung begegnet wird.
Überhaupt die Abreise: Als korrekter Deutscher informiert man seinen Wirt vor der Abreise, daß morgen früh kein Frühstück mehr zubereitet werden muß, die Fähre geht schließlich um fünf. Er wird sagen, er würde ein kleines Paket herrichten, als Ersatz für das bezahlte, aber nicht eingenommene Mahl: Suche dieses Frühstückspaket nicht, niemand wird es finden, denn es wurde nie zubereitet.
Das also, als kleinet Auszug, ist auch die TT. Natürlich gibt es auch unvergleichbare, schöne Momente und Erlebnisse: Ein Rentner sitzt neben mir und wir blicken gemeinsam schweigend auf die See, bis er bemerkt: „Beautifull day, nicest place on earth, never go back“, zu diesem Zeitpunkt und der aktuellen Wetterlage zweifellos eine richtige Bemerkung. Oder der Neuseeländer, der im Rucksack eine Manx Kurbelwelle mitführt, mit der er die Reise finanziert. Wir verkaufen das Teil an einen Franzosen, der uns sofort zu einer Flasche Wein einlädt. Einmal blicke ich versonnen in Castletown auf eine wunderschöne Velocette, da zieht mich ein älterer Mann mit in seinen Keller: Alles voll mit toprestauriertem Gerät. Da trifft man Iren, die einem schon nach einem Bier krachend auf die Schulter schlagen und Ihr Haus samt Tochter zur nächsten Nord-West 200 kostenfrei anbieten. Und wenn abends noch Training ist, und ich beobachte, wie man Creg ny Bar anbremst und mit Vollgas Richtung Hillbary verschwindet, dann nehme ich mein Bier vom Strohballen, schaue mal zurück auf meine am Pub wartende Guzzi, trinke und bin mit mir und der Welt so was von im Reinem, wie an keinem anderem Platz auf Erden.
Und sehe bei der Qualität der Unterkünfte, der Toiletten und des Essens nicht mehr so genau hin. Aber ganz so hündig unterwürfig, wie die meisten deutschen TT Fahrer, sollte man das Ganze auch nicht sehen.
Gruß
Stefan