Ran an die Kreidler, rauf auf die Kreidler und ab nach Südtirol

  • Rund um mein Heimatdorf auf der Schwäbischen Alb hatte sich so ab 1975 ein wild zusammengewürfelter Haufen gefunden, die eins gemeinsam hatten - Mopedfahren. Und alle fuhren Kreidler Florett, so ab Baujahr 1968 bis zu den ganz aktuellen Modellen mit 6,25 PS und Blinkern. Andere Fabrikate kamen für uns gar nicht in Frage - wer setzt sich schon auf Fabrikate aus dem bayrischen Ausland wie Zündapp wo die Motoren Wasserkühlung brauchten oder eine Hercules mit Vorderradschwinge wie aus Wirtschaftswunderzeiten. Und Maicos nervten mit ihrem Heulen und dauernden Defekten. Tolerant waren wir aber schon - ab und zu durfte auch ein Fremdfabrikat mit, so eine Starflight mit Sachs-Motor und aus dem Kaufhaus (war mit Raten besser zu finanzieren) oder eine Honda SS 50, allerdings bekam der das Ziel genannt und mußte mit der lahmen 4-Takt-Krücke schon mal 10 Minuten früher los fahren, damit er uns den Schnitt nicht versaute.


    Im Frühjahr 1976 reifte dann ein verwegener Gedanken in uns - wie wäre das, wenn wir alle zusammen mal eine richtige große Tour unternehmen würden und nicht nur die umliegenden Ortschaften oder den Bodensee heimsuchen würden. Und ins Ausland sollte es auch gehen, also mindestens nach Österreich oder in die Schweiz. Ein heißer Sommer kam und eines Samstagmorgens ging es los: 2 Wochen voller Erlebnisse lagen vor uns und darüber werde ich in ein paar Teilen schreiben.


    Teil 1


    16 Kreidler Florett (alles Kleinkrafträder, also nix mit Versicherungskennzeichen), 1 Suzuki GT 250 und ein Opel Rekord Caravan mit 3 Mann Besatzung starteten. War schon ein imposantes Bild, zumindestens von vorne, denn von hinten war die Luft mit Zweitaktwolken etwas getrübt. Ruckzuck überschritten wir die Schweizer Grenze (für die meisten zum ersten mal überhaupt bzw. zum ersten Mal auf eigenen 2 Rädern) und besichtigten den Rheinfall bei Schaffhausen. Nachmittags war dann nach mehreren Versuchen am Greifensee bei Zürich auch ein Campingplatz gefunden, der den wilden Haufen, unter den argwöhnischen Blicken der anderen Camper, aufnahm. Gleich abends ging es dann los nach Zürich, das wir aber nicht komplett erreichten, da ein Teil der Gruppe irgendwie abhanden kam. Der Rest hielt sich einfach Richtung Stadtmitte. Zu Fuß wurde dann die Innenstadt erkundet und völlig unbeabsichtigt landeten wir dort, wo über den Kneipen die roten Lampen leuchteten und die Preise für ein Bier fast dem einer Tankfüllung entsprach. Als einer von uns neugierig durch den Vorhang einer solchen Bar schielte, erhielt er, völlig unbeabsichtigt, einen Schubs von hinten und flog die Stufen runter direkt in den Gastraum. Als er sich wieder aufrappelte, kamen schon 2 der Betreiber (richtige Kleiderschränke) auf ihn zu. Flugs drehte er sich um die eigene Achse und verließ den Laden fast wieder so schnell wie er in ihm gelandet war. Auf uns stieß er erst um die nächste Ecke und hatte überhaupt kein Verständnis dafür, dass wir uns die Bäuche hielten vor Lachen. Auch auf die Frage, wie den die Puppen in der Bar so ausgesehen hätten, reagierte er in der nächsten Zeit etwas allergisch.


    Teil 2


    Nach 2 Tagen baden nervte uns der Campingplatz und vor allem die Besitzerin, die immer was zu meckern hatte. Die Frage "wie wär´s mit Südtirol" stand auf einmal im Raum - ein Teil von uns war dort schon im Schullandheim gewesen - und ab gings. Leider begann es dann pünktlich zur Abreise zu regnen. Und es kam, was kommen mußte. Es gab einfach kein Stück, immer wieder mußte der ganze Tross anhalten, weil abwechselnd immer wieder ein Moped wegen Wassereinbruch streikte. Nachmittags landeten wir dann in Vaduz, der Hauptstadt des Fürstentums Lichtenstein. Die Stimmung hatte etwas gelitten und stundenlang saßen wir mit nassen Klamotten in einem Cafe herum. Es wurde dann ein Erkundungstrupp ausgesendet um nach einem Nachtquartier zu suchen. Grinsend kamen die drei dann auch wieder zurück und verkündeten, dass sie ein solches gefunden hätten, wir es allerdings erst nach Einbruch der Dunkelheit beziehen könnten. Die Fahrt ging dann etwas außerhalb, einen Feldweg runter und dann standen wir vor unserem Quartier - einer Feldscheune. An der Stirnseite stand groß aufgesprüht "Flitzerstübli". Das Tor wurde vorsichtig aus den Angeln gehoben und das Heuhotel bezogen. Der nächtliche Regen war uns egal, wir hatten ein trockenes Dach über dem Kopf. Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter etwas gebessert und es herschte Aufbruchstimmung. Die Motoren wurden angelassen - doch was war das - da stand noch einsam und unbeladen eine rote Kreidler, die von Oschi. Also zurück in die Scheune und tatsächlich in einer Ecke , völlig unter Heu bedeckt, lag der noch in seinem Pennbeutel. Er hatte die ganze Nacht Angst gehabt, dass die örtliche Polizei oder unser unfreiwilliger Gastgeber auftaucht und war erst gegen Morgen eingeschlafen. Die anderen, die eine Etage über ihm gelegen waren, hatten Heu auf ihn losgewälzt. Ein freundlicher Tritt ins Gesäß und auch er war wach, packte seine Habseligkeiten und bestieg seine Florett. Es ging trotzdem nicht los. Es war nämlich noch 5 Minuten Brillensuche angesagt, die war Oschi im Heu abhanden gekommen. Ein tolles Bild: mindestens 10 Mann wühlen im Heu nicht nach der berühmten Nadel sondern einer Brille.


    Fortsetzung folgt

  • Teil 3


    Wir waren unterwegs und es ging über die Schweizer Bergwelt und auch über 2 oder 3 richtig hohe Pässe. Um nicht den ganzen innerschweizerischen Verkehr lahm zu legen, starteten wir die Passerklimmung immer in kleineren Gruppen, also Suzuki und Begleitauto vorneweg und dann die Mopeds. Das Feld zog sich natürlich weit auseinander und zwangsläufig waren die älteren und leistungsschwächeren Modelle das Schlußlicht. Für diese Fahrer und ihre Mopeds eine echte Leistungsprobe. Man hörte sie in der Bergwelt rumröhren: rrrrrrrr (volle Drehzahl und mehr) im ersten Gang um die Kurve - brrrrrrrr Hochschalten und sofortiger Drehzahlabfall - krrrrr Runterschalten in den ersten und rrrrrrrrr. Hatte der letzte die Passhöhe erklommen, gab es keine Gnade, er wurde gleich durchgewunken, schließlich hatten die ersten schon eine Weile gewartet und wir wollten schließlich nach Südtirol. Bergab war es zumindestens anfangs egal, aber die älteren Mopeds hatten zwangsläufig auch die schlechteren Bremsen und irgendwann ließ sich der Bremshebel ganz weit ziehen ohne dass es zu einer deutlichen Verringerung der Geschwindigkeit gekommen wäre. Thema für abendliche Benzingespräche. Aber wir kamen ohne große technischen Defekte und ohne Sturz am Kalterer See in Südtirol an und fühlten uns auch ganz toll. Am Ziel aber auch bei den Stopps unterwegs waren wir immer eine kleine Sensation und beantworteten geduldig Fragen nach dem Woher und Wohin. Das die Schweizer unsere Mopeds meinten, wenn sie vom Töff sprachen, wurde uns auch bald klar und schon hatten wir unsere Fremdsprachenkenntnisse aufgemöbelt.


    Fortsetzung folgt

  • Teil 4


    Warum wir rund um den Kalterer See keinen Campingplatz bekamen, war uns unverständlich. Wir sahen doch recht annehmbar aus, so mit durchweg langen Haaren und unserem gepflegten Outfit (Lederjacke oder Kunstlederkombi, darüber ärmellose Jeanswesten mit Adler-Emblem auf dem Rücken). Eigentlich träumte doch jeder Mutter nur davon, uns ihre Töchter anzuvertrauen. Die Campinglatzbetreiber sahen das etwas anders, entweder schickten sie uns gleich weg oder murmelten was von Überbelegung. Es wurde abend und wir standen ratlos in der Gegend herum. Der heiße Tip eines Einheimischen führte uns, gut versorgt mit Essen und Getränke, zu einem Rastplatz an der Bergstrecke zwischen Auer und Montan. Nach vergnüglichem Abend am Lagerfeuer ging es dann zur Nachtruhe. Die meistens schliefen unter freiem Himmel, vier Mann (darunter auch ich) feudal im Opel-Kombi.
    Das Geschnarche rief die Wettergötter auf den Plan, es fing an zu regnen. Die Open-Air-Schläfer zogen sich unter zwei Bäume zurück, aber die Tropfen kamen mit der Zeit doch durch. Eng aneinander gekauert dämmerten sie vor sich hin. Als es heller wurde, entdeckten sie am anderen Ende des Platzes ein größeres Anwesen - eine Art Wanderheim. Die dortige Nachtwache quartierte sie im Heizungskeller ein und die Herbergsmutter bereitete den armen Jungs ein tolles und kostenloses Frühstück. Als wir anderen aus dem Auto kletterten bot sich uns ein besorgniserregendes Bild: von den Kumpels weit und breit nichts zu sehen, Schlafsäcke und andere Utensilien durch streunende Hunde über den Platz verteilt. Wir hatten ein klares Weltbild und da kam nur eins in Frage: Entführung durch die italienische Mafia um von der schwäbischen Regierung oder den Eltern zuhause Millionenbeträge an Lösungsgeld zu erpressen. Nach geraumer Zeit tauchten die Jungs auf, gut gelaunt und mit vollem Bauch.


    Mit dem Quartier hat es dann aber auch noch an diesem Tag geklappt. Die Herbergsmutter im nahen Montan, die an zwei der Clique noch aus Schullandheimszeiten mehr oder weniger gute Erinnerungen hatte, nahm uns für ein paar Tage auf und vermittelte uns dann einen wilden Zeltplatz mitten in den Weinbergen bei einem befreundeten Winzer. Eine herrliche Zeit brach an, mit vielen schönen Runden durch die Berge, Baden und "Miezen-Kucken" am Kalterer See, langen Nächten zwischen den Zelten, ersten Erfahrungen mit Südtiroler Rotwein, Spaghetti-Wettessen in einer nahen Kneipe und und und....

  • Teil 5


    Von Oschi hatten wir es ja schon. Der gute Kerl war beim Fahren eher einer der Ruhigeren und musste sich immer Sprüche anhören, wie "Gas ist rechts" oder "steig doch gleich ab und schiebe um die Kurve rum". Umso überraschter war ich, als mir bergaufwärts Oschi mit atemberaubender Geschwindigkeit und voll in der Kurve hängend entgegenkam. Noch etwas verwundert steuerte ich unten im Dorf die Tankstelle an. Der Tankwart stürmte gleich auf mich zu und drückte mir eine Brille in die Hand. Oschi hatte sie zum Helmaufsetzen abgenommen und auf der Tanksäule liegen gelassen. Ich steckte die Brille ein und fuhr wiedere Richtung unserem Camp. Was kam mir da entgegen? Zuerst dachte ich an Giacomo Agostini und eine MV Agusta (an was sonst in Italien), aber nein ..... es war eine rote Kreidler mit Oschi auf dem Weg zur Tanke um seine Brille zu suchen. Er traf wohlbehalten dann auch wieder ein. Standartspruch für die Zukunft: "Oschi, setz die Brille ab, wir wollen vorwärts kommen."


    Teil 6 und Ende


    Während wir uns in Südtirol wie echte Biker fühlten und das erste Mal so das Gefühl von "Easy-Rider" verspürten (obwohl M-Lenker statt Hochlenker im Trend lagen) spielten sich in unseren Heimatorten dramatische Szenen ab. Nein - nicht weil die Mädchen daheim auf uns verzichten mussten, der Treffpunkt in der Ortsmitte verödet dalag und die Wirte keine Umsätze machten, sondern zwischenzeitlich waren die ersten Ansichtskarten zuhause eingetroffen. Eigentlich wähnte man uns irgendwo im Allgäu oder am Bodensee und nicht in Italien. Anscheinend hatten sich einige, um überhaupt die Erlaubnis zu bekommen, nicht genau zu Ziel und Dauer der Tour ausgelassen. Es soll zeitweise in den Elternhäusen oder unseren örtlichen Vereinen kein anderes Thema wie die Rockerbande und dieser bodenlosen Leichtsinn gegeben haben. Egal, wir landeten wohlbehalten wieder zuhause. Eine Mutter, die in mir einen der Hautpdrahtzieher sah (völlig unverständlich, ich war doch der Kleinste in der Clique), ging mich dann auch mit Vorwürfen an, was da alles passieren hätte können. Seelenruhig fragte ich sie, ob ihr an ihrem Sohn keine Veränderungen wie z.B. Bartstoppeln aufgefallen wären, also ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Tour ihren Sprößling zum Manne reifen ließ und sie stolz sein könne, wie er die Strapazen der Reise so gut gemeistert hätte. Er und wir alle hätten dabei Erfahrungen gesammelt, von denen wir noch unser ganzes späteres Leben profitieren würden. Stimmt ja auch, oder?


    Und wenn sich heute irgendjemand von der Südtirol-Horde über den Weg läuft, kommt automatisch der Satz "Weiß du noch, unsere Südtiroltour."


    Ende

  • Hallo Jochen,daaaa wäääre ich geeeerne mitgefahren.Meine Kreidler war Baujahr 70-76,von jedem etwas.Wir sind leider nur Max. bis Koblenz (70km)gefahren ,liegt daran das bei einigen von uns die Kühe rechtzeitig gemolken werden mußten, und ich mußte das Gewächshaus gießen,Traktor und sonstiges Zuhause in Schuss halten.Wir durften von Zuhause sehr viel,aber nicht zu lange!
    Südtirol, da bin ich erst als Alter Mann Ende 30 hingekommen.
    Schaaaaade.
    Unser Kurtchen ist mal seiner Perle aus der Paralelklasse mit der Ultra nach Südfrankreich nachgefahren, als die auf Klassenfahrt mit dem Bus war.
    Nix genutzt, die Lehrer haben aufgepasst und gehalten hat es auch nicht,trotzdem war er unsere Held .
    Soviel km auf ´nem 50er Moped Sitz, das konnte sich keiner vorstellen. Dazu hatte er Heiko hinten drauf, der ?? Ach das ist eine andere Geschichte. Ich bin mir ziemlich sicher das die beiden auch nur daheim der Mutti erzählt haben, sie würden nur bis in den Hundsrück fahren.
    :thumbsup:

  • Hallo Jochen so ne ähnliche Geschichte haben mein Kumpel und ich 79 gemacht. Mit ner Zündapp KS 50 und ner Honda CB 50 (40000 km auf der Uhr) sind wir zu einer Reise nach Schottland aufgebrochen. Ich weiß nicht wie es dir heute geht aber von der Reise träumen wir noch heute und es war ein Erlebnis das uns nie jemand wegnehmen kann.Als wir zurückkamen stand damals der Fußballverein am Eingang zu einer Gaststätte und als sie uns sahen sprangen sie hoch und jubelten wie verrückt und dabei kanneten wir noch nicht einmal jemanden davon richtig. Es hatte sich einfach rumgesprochen daß die zwei Verrückten unterwegs nach Schottland fahren. Das war einfach ein tolles und einmaliges Gefühl. 4964 km in drei Wochen. (Ein Jahr später sind wir wieder aufgebrochen zu einer fast gleichen Tour diesmal mit einer Yamaha Chappy) Einen Kolbenfresser am ersten Tag ein Gaszug in Edinburgh und die Tachowelle an der CB 50 (Na ja noch zwei grausam verbogene Felgen an der CB) ansonsten alles paletti. Wenn Ihr wollt kann ich euch mal die Geschichte auch posten aber auch die ist lange. Ich freue mich immer wenn man mal in alten Erinnerungen kramen kann. Übrigens ist Der Engländer der in meiner Elefantentreffenstory Hülfe ruft ein Kumpel aus der Zeit und ich sehe ihn noch immer!!
    Gruß Michael

  • Hallo Michael, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieser erste große Tour war ein echtes Erlebnis und hat sich tief ins Gedächtnis eingeprägt. Noch heute, obwohl ich schon viele Male mit dem Motorrad in der Schweiz und Südtirol unterwegs war, geht es bei mir bei einer neuen Tour immer so, dass ich automatisch denke "An dem Parkplatz haben wir meine Kreidler trockengelegt" oder "auf dem Pass haben wir damals auch angehalten" oder sogar "auf den Campingplatz gehe ich nicht, die wollten uns damals auch nicht und waren unhöflich". Vor einigen Jahren entdeckte ich in der Schweiz ein Heuhotel, das an der Straße Werbung machte. Ich habe unterm Helm lauthals losgelacht (bin beim Motorradfahren eh immer ein vergnügter Mensch) und in Abwandlung einer Hustenbonbon-Werbung gedacht: "Wer hat´s erfunden - nein nicht die Schweizer, sondern wir Kreidlerfahrer anno 1976." Und ich mußte immer mehr lachen, als ich ans "Flitzerstübli" dachte.